Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Severus Gastorius (1646-1682)

01.12.2009

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Arne zur Nieden

Du aber gehe hin biß das Ende komme – Musik in Leichenpredigten

Altstimme aus der Trauermotette von Severus Gastorius auf Johann Arnold Friderici [1/2]

Im protestantischen Mitteldeutschland des Barock entwickelte sich eine einzigartige kirchliche Musik- und Musizierkultur. Davon zeugen nicht nur Namen großer Komponisten wie Heinrich Schütz, Georg Böhm, Johann Pachelbel und nicht zuletzt Johann Sebastian Bach, die aus diesem Gebiet stammten oder dort wirkten, sondern auch eine Vielzahl überlieferter Gebrauchs- und Gelegenheitskompositionen, sei es für eine gottesdienstliche Aufführung, eine weltliche Feier, eine Hochzeit oder auch zu einem Trauerfall.

Im Verständnis der lutherischen Orthodoxie, die in dieser Region prägend war, ist alle Kirchenmusik das Gotteslob der versammelten Gemeinde und damit zentral für den Gottesdienst, auch im Trauerfall. Dem barocken Lebensgefühl entsprechend, das mit einer pessimistischen Grundstimmung den Blick auf die Vergänglichkeit richtete, gleichzeitig jedoch sinnenfroh die Auferstehung feierte, wird hier das Sterben als der letzte Auftritt des Individuums im Theater der Welt zelebriert.[1]

Die Qualität dieser "Inszenierungen" lässt sich an den aufgeführten Kompositionen erkennen. Man findet dabei sowohl kleine, schlichtere Werke als auch große mit enormem technischem Anspruch. Es mag verwundern, aber die großen Motetten J.S. Bachs, die auch heute noch leistungsstarke Profichöre an ihre Grenzen stoßen lassen, waren Gelegenheitsmusiken zum Anlass einer Trauerfeier. Der Anspruch der Komposition spiegelte dabei den gesellschaftlichen Status des Verstorbenen wider.

Für die Musikwissenschaft geben die überlieferten Trauermusiken einen breiten Einblick in die Musikkultur der Zeit, stellen aber auch eine fast unübersehbare Zahl an Quellen musikalischer Werke, deren Erfassung und Auswertung ein endloses Unterfangen zu sein scheint.[2] Natürlich sind in dieser Menge Werke der Qualität Bach'scher Motetten die Ausnahme. Viele wurden von der Forschung des vergangenen Jahrhunderts, die auf die "Größen der Musikgeschichte" fixiert war, mit abwertenden Schlagworten wie "Gebrauchsmusik von Kleinmeistern" etikettiert.

Einer dieser "Kleinmeister" ist Severus Gastorius, zu deutsch Bauchspieß. Geboren 1646 in Öttern bei Weimar durchlief er die klassische Ausbildung zum Kantor: Lateinschule in Weimar, Studium an der Universität Jena, ab 1670 Substitut des dortigen Kantors Andreas Zöll. Ein Jahr darauf heiratete er dessen Tochter. 1677 wurde er schließlich der Nachfolger seines Schwiegervaters. Nur fünf Jahre später starb er in Jena.[3] An Kompositionen hinterließ er lediglich einige Trauermotetten sowie 38 Melodien in einer Gedichtsammlung. Unter letzteren befindet sich jedoch eine, die bis heute in regem Gebrauch ist und somit auch die Betrachtung seiner anderen Kompositionen interessant macht: "Was Gott tut das ist wohlgetan". Gastorius schrieb sie einem zeitgenössischen Bericht zufolge für seinen Freund, den Dichter des Liedes, Samuel Rodigast, zum Trost, als dieser 1675 erkrankt war.[4]

Anlässlich des Begräbnisses des Jenaer Medizinprofessors Johann Arnold Friderici (1637-1672) am 2. Juni 1672 komponierte Gastorius die Trauermotette "Du aber gehe hin biß das Ende komme" für fünf Singstimmen und Basso continuo. Sie ist in drei Abschnitte gegliedert: Zu Beginn steht die Vertonung mehrerer Bibelsprüche (Daniel 12,13, Offenbarung 14,13 und Weisheit Salomos 3,1). Der Satz steht in e-Moll und zeichnet sich zum einen durch weitgehend homophone Führung der Stimmen (vgl. das im MIDI-Format erstellte Hörbeispiel), zum anderen durch die angedeutete Zweichörigkeit mit Wechsel zwischen Hochchor und Tiefchor aus. Der Zeit entsprechend finden sich zahlreiche Textausdeutungen wie z.B. die Längung der Noten zu den Worten und ruhe oder den deutlich unruhigeren darauf folgenden imitatorischen Abschnitt mit einem Motiv aus vier wiederholten Achteln mit anschließendem Quart- bzw. Quintsprung zu Ruhe biß du auffstehest.

An diesen Hauptteil der Motette schließt sich ein vierstimmiger Choral in G-Dur an. Dabei handelt es sich um das im Barock sehr beliebte Sterbelied von Christoph Demantius "Freu dich sehr, o meine Seele". Während man hier einen sehr schlichten Satz findet, zeichnet sich das abschließende Amen durch eine ausgeprägte Polyphonie aus und beendet somit die Motette mit einem fröhlichen Jubelgesang.

Die Erforschung der barocken mitteldeutschen Musiktradition ist gerade nach der Wende 1989 intensiviert worden und hat sich zu einem umfangreichen Forschungsgegenstand entwickelt, zu dem auch in nicht geringem Maß die Begräbnismusik zählt.

 

ARNE ZUR NIEDEN M.A. hat Musikwissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen studiert.

 

Bestand: Stadtarchiv Altenburg
Signatur: A I 26
Enthalten in: Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften im Stadtarchiv Altenburg (Marburger Personalschriften-Forschungen 44), Stuttgart 2007

 

Anmerkungen:

[1] Norbert Bolin, "Sterben ist mein Gewinn": ein Beitrag zur evangelischen Funeralkomposition der deutschen Sepulkralkultur des Barock, Kassel 1989, S. 14f.

[2] Vgl. Wolfgang Reich, Die deutschen gedruckten Leichenpredigten des 17. Jahrhunderts als musikalische Quelle, Diss. Leipzig 1963 [Ms.].  

[3] Markus Rathey, Art. "Severus Gastorius", in: Ludwig Finscher (Hg.), Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. 7, Personalteil,  2. Aufl., Kassel 2002, Sp. 602f.

[4] Siegfried Fornaçon, Werke von Severus Gastorius, in: Jahrbuch für Liturgie und Hymnologie 8 (1963), S. 165-171.

 

Zitierweise: Arne zur Nieden, Severus Gastorius (1674-1698). Du aber gehe hin biß das Ende komme – Musik in Leichenpredigten, in: Leben in Leichenpredigten 12/2009, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/severus-gastorius-1646-1682.html>

Dateien:
Severus Gastorius: Du aber gehe hin (Notensatz)(0.9 M)
Motette Gastorius Hörbeispiel (MIDI)(21 K)

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