Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Aufbau einer Leichenpredigt

Die ersten im Druck überlieferten Leichenpredigten, so 1525 auf Kurfürst Friedrich den Weisen von Sachsen und 1532 auf dessen Bruder Johann den Beständigen, stammen von Martin Luther. Nach seinem Verständnis musste sich die Leichenpredigt auf die Exegese des Leichtextes beschränken. Ein ausführlicher Lebenslauf hatte in seinen Predigten keinen Platz. Bis zu seinem Tode bestand das Druckwerk deshalb in der Regel aus der "Christlichen Leichpredigt" mit biographischen Einschüben. Seit Beginn des 17. Jahrhunderts ist ein Prozess der Verselbstständigung einzelner Teile der Leichenpredigt zu beobachten:

Widmung

In diesem vorangestellten Text, auch Zueignung (lat. dedicatio) betitelt, werden die Personen genannt, denen der Verfasser die Leichenpredigt widmet - zumeist handelt es sich um die nächsten Angehörigen des Verstorbenen. In manchen Fällen schließen sich noch einige Erläuterungen des Autors über den Druck an. Die Datierung der Widmung erlaubt dabei Rückschlüsse über den Verlauf des Arbeitsprozesses vom Manuskript hin zum fertigen Druckwerk. In der Widmung können bereits Teile der Ahnentafel des Verstorbenen abgedruckt sein.

Vorrede

In der Regel führen Vorreden in Leichenpredigten-Sammlungen ein und wurden vom jeweiligen Herausgeber verfasst. Diese Funktion einer Vorbemerkung unterscheidet die Vorrede vom Exordium. Es existieren aber auch Sonderfälle:

  • Der Verstorbene hat vor seinem Tod seine eigene Leichenpredigt verfasst, die von einem anderen gehalten wird. Dieser leitet sie durch eine eigene Vorrede ein.
  • Die Predigt wird nach dem Tod ihres Verfassers durch einen anderen im Druck herausgegeben und mit einer Vorrede versehen.

Leichenpredigt

Unter dem Titel "Christliche Leichpredigt" findet man meist die Predigt, die der Pfarrer am Grab oder in der Kirche auf den Verstorbenen gehalten hatte.

Da in der überwiegenden Zahl der Fälle jede Form einer Trauerpredigt als "Leichenpredigt" bezeichnet wurde, ist zur genaueren Unterscheidung eine detailliertere Begriffsbestimmung notwendig. In Betracht gezogen werden dabei u.a. Merkmale wie Zeitpunkt, Zweck und örtliche Gegebenheiten der Predigt. Die eigentliche Leichenpredigt ist in der Regel durch die anschließende Verlesung des Lebenslaufes, der "Personalia", gekennzeichnet.

Leichtext

Die Leichenpredigt baute auf einer Textstelle der Bibel auf, dem Leichtext, den der Verstorbene oft selbst bestimmt hatte, und der einen Bezug auf sein Leben und Wirken haben konnte.

Der Leichtext wurde zu Beginn der Predigt verlesen und im späteren Druck explizit hervorgehoben. Auch in den weiteren hier aufgeführten Predigtgattungen konnte der Leichtext Verwendung finden.

Exordium

Nach der Nennung des Leichtextes folgt das Exordium. Es führt im allgemeinen in den theologischen Teil der Predigt ein.

Zweck dieser kurzen Einführung war insbesondere, die Zuhörer auf die Thematik der Predigt einzustimmen und einen kurzen Überblick über die Gliederung des Hauptteils der Predigt zu geben.

 

Hauptteil der Predigt

Im Hauptteil der Predigt wird der Leichtext ausgelegt (Exegese), erläutert, eine Lehre aus ihm gezogen und häufig in der sogenannten Applicatio - auf Deutsch Gebrauch genannt - zur Gemeinde und/oder zur verstorbenen Person in Beziehung gesetzt.

Personalia/Lebenslauf

An den Hauptteil der Leichenpredigt schließt sich seit Anfang des 17. Jahrhunderts der Lebenslauf des Verstorbenen (lat. Personalia) als separater Abschnitt an. Er kann auch eine andere Bezeichnung, wie beispielsweise Ehrengedächtnis oder Curriculum Vitae, tragen. In ihm wird der Lebensweg des Verstorbenen mehr oder weniger detailliert geschildert. Sein Ziel ist es, den Verstorbenen als einen beispielhaften Christen zu präsentieren.

In der Regel verfasste der Predigtautor auch den Lebenslauf aufgrund von biographischen Zeugnissen, die ihm die Hinterbliebenen eingehändigt hatten, oder redigierte zumindest einen ihm übergebenen Text. Seltener kommt es vor, dass ein autobiographischer Lebenslauf des Verstorbenen verlesen bzw. abgedruckt wurde.

Personalia können ebenso im Zusammenhang mit Gedächtnispredigten erscheinen, seltener auch als Separatdrucke.

Überführungspredigt oder -rede

Eine Überführungspredigt oder -rede konnte gehalten werden, wenn die Beisetzung nicht am Sterbeort erfolgte, sondern der Verstorbene zunächst an den eigentlichen Begräbnisort überführt wurde.

Die Predigt konnte dann entweder an jenem Ort gehalten werden, von welchem der Verstorbene abgeholt wurde (z.B. dem Sterbeort). Es finden sich aber auch Trauerreden am "Zielort" oder an diversen "Verweilorten" der Überführung.

Beisetzungspredigt oder -rede

Die Beisetzungspredigt wurde anlässlich der Beisetzung (Einsenkung) eines meist adligen Verstorbenen gehalten, wenn die eigentlichen Trauerfeierlichkeiten mit der Leichenpredigt frühestens am folgenden Tag oder auch später stattfanden. In den Quellen wird sie oft auch Beisetzungssermon genannt.

Gedächtnispredigt

Diese Form der Predigt findet sich erst im 17. Jahrhundert. Sie wurde zur Erinnerung an den Verstorbenen oft an einem anderen Ort als dem Beerdigungsort gehalten, oder aber dann, wenn die Leiche des Verstorbenen nicht geborgen werden konnte.

Häufig handelt es sich bei dem Verstorbenen, dessen Memoria die Predigt diente, um einen hochadligen Landesherrn. In diesem Fall wurde üblicherweise angeordnet, landesweit in allen Kirchen an einem bestimmten Tag eine entsprechende Predigt zu halten.

Eine Gedächtnispredigt kann lange Zeit nach einem Begräbnis, aber auch am Beerdigungstag selbst oder sogar vorher gehalten worden sein.

Abdankung

Die Abdankung ist eine Trauerrede profanen Inhaltes, in der der Verstorbene in der Regel von einem Nichttheologen gewürdigt wird. Ihren Namen hat sie erhalten, weil in ihr die Hinterbliebenen Dank an die Trauergäste, die dem Verstorbenen die letzte Ehre erwiesen haben und an die Leichenbegleiter (exequiatores) abstatten lassen. Die meist am Ende der Rede zu findende Dankesformel ist daher ein entscheidendes Identifizierungsmerkmal dieser Textgattung.

Die Abdankung konnte vor der Tür des Trauerhauses, nach der Rückkehr vom Grabe, an der Begräbnisstätte, manchmal auch von der Kanzel in der Kirche von einer extra dazu ausgewählten Person gehalten werden. Ihr Umfang ist unterschiedlich, neben kurzen Reden tauchen einige auf, die über zwei Stunden dauerten.

Standrede

Die Standrede ist eine Sonderform der Abdankung. Sie wurde am offenen Grabe nach der Beisetzung stehend vorgetragen und gehört wurde. Aus diesem Grund zeichnet sie sich durch besondere Kürze aus. Sie kann sowohl weltlichen als auch theologischen Inhaltes sein.

Programma Academicum (P.A.)

Ein Programma Academicum informiert über den Tod eines Angehörigen einer Universität oder eines Gymnasium Illustre. Als Universitätsangehörige galten auch die Ehefrauen und Kinder der Professoren. Es gibt aber auch Programmata Academica auf Verstorbene, die keiner Universität inkorporiert waren, v.a. Landesherren und Mitglieder ihrer Familie.

Das in der Regel in lateinischer Sprache verfasste Programma fordert sämtliche Universitäts- oder Schulangehörigen zur Teilnahme am Begräbnis auf und enthält biographische Informationen über den Verstorbenen. Außerdem kann es zu einer Akademischen Trauerrede einladen.

Autor des Programma ist in der Regel der Rektor des jeweiligen Bildungsinstitutes. Als Einblattdruck in größerem Format wurde es zunächst im Universitäts- oder Schulort verteilt bzw. angeschlagen, um dann meist zusammen mit der Leichenpredigt ein zweites Mal veröffentlicht zu werden.

Akademische Trauerrede oder -schrift

Ebenso wie das P.A. erscheint die Akademische Trauerrede vornehmlich in Leichenpredigten auf Wissenschaftler und Angehörige einer Universität oder einer höheren Schule, aber auch hochadlige Personen gehörten in ihrer Funktion als Stifter bzw. Förderer der Lehreinrichtung mitunter zum Kreis der Adressaten. In ihr behandelt - in der Regel in lateinischer Sprache - ein Kollege des Verstorbenen, oft der Rector Academiae oder der Rhetor, dessen wissenschaftlichen Werdegang einschließlich seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit.

Kondolenzschreiben

Ausgewählte Kondolenzschreiben wurden meist im Rahmen des Epicedienteiles abgedruckt.

Sonstige Trauerschrift

In diese Kategorie fallen alle Trauerschriften, bei denen sich keine Übereinstimmung mit einer der anderen Textgattungen feststellen lässt, vor allem unspezifische Trauer-, Lob- und Gedächtnisschriften oder -reden, Todesanzeigen, Nachrufe, Grabinschriften oder Trostschriften, die nicht als Kondolenzschreiben gelten können.

Prozessionsordnung oder sonstige Trauerordnung

In der Prozessions- und/oder Trauerordnung wird in der Regel der Ablauf der Feierlichkeiten anlässlich des Begräbnisses eines hochgestellten Verstorbenen beschrieben. Besonders umfangreich ist in ihr die genaue Wiedergabe der Reihenfolge der Teilnehmer am Leichenzug (Leichprozession), der vom Haus des Verstorbenen zur Kirche, in der die Leichenpredigt gehalten bzw. der Verstorbene beigesetzt wurde, führte.

Eine Trauerordnung kann auch Anordnungen für die Landestrauer enthalten, wenn ein Mitglied einer regierenden Familie des Hochadels gestorben war.

Epicedium

Das Epicedium ist ein Trauergedicht zu Ehren einer verstorbenen Person, das von Verwandten und Freunden des Geehrten verfasst wurde, gelegentlich auch in Form eines Epitaphs oder Figurengedichtes. Ursprünglich wurde es im Gegensatz zum Epitaph über den noch nicht beerdigten Leichnam (cadavere non sepulto) abgefasst. Seine elementaren Themen sind Lob (laudatio), Klage (lamentatio) und Trost (consolatio). Das neulateinische Epicedium taucht in Anlehnung an die antiken Rhetoriker (Menander, Dionysius von Halikarnassos) in der Form einer Elegie (Hexameter, Distichon) oder eines Epigramms auf.

Epitaph

Das Epitaph stellt im literarischen Kontext eine spezielle Form des Epicediums dar. Zu den stilistischen Merkmalen des häufig in lateinischer Sprache verfassten Textes zählen u.a.:

  • er ist an die Öffentlichkeit adressiert und redet den Vorübergehenden an
  • er enthält über die Namensnennung hinausgehende Personalangaben
  • er weist eine Mittelachse auf
  • er ist freirhythmisch gestaltet, Metrik und Versmaß fehlen ebenso wie Reime und Strophen
  • der Verfasser bleibt meist anonym.

Figurengedicht

Eine weitere besondere Form des Epicediums repräsentieren Figurengedichte:
Es sind Gedichte, deren Verse durch verschiedene Länge und Druckanordnung im graphischen Umriss (Satzspiegel) Symbolgegenstände darstellen. Die äußere Gestalt steht dabei in spielerischer Beziehung zum Inhalt des Textes. Der literarischen Funktion des Textes wird somit durch die spezielle Formung des Textkörpers eine weitere - optische - Bedeutungsebene hinzugefügt.

Trauerkomposition

Auch Trauerkompositionen finden sich in Leichenpredigten, teilweise in oft mehrstimmigen Notendrucken. Einfache Formen des Begräbnisliedes - in den Predigten meist als "Trauerode" bezeichnet - werden zur sinnvolleren Definierung dieses musikwissenschaftlich unscharfen Begriffs unter den Termini "Trauerlied" bzw. "Trauermotette" geführt. Von diesen zu unterscheiden sind die mehrteiligen "Trauerkantaten", die sich durch den Wechsel von Arien, Rezitativen, Chören und/oder reinen Instrumentalstücken auszeichnen.