Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Bildungsgeschichte

Wanderjahre eines Handwerksgesellen

Über die obligatorischen Wanderjahre von Handwerksgesellen und ihre Reiserouten in der Frühen Neuzeit werden wir durch Reisebücher, Autobiographien und Biographien nur sehr unzureichend unterrichtet. Auch hier vermögen die Leichenpredigten Abhilfe zu schaffen und Informationen für die Bildungsgeschichte (Geschichte der Berufsausbildung) zu liefern, wie das Beispiel des am 8. August 1637 in Fraustadt (Königreich Polen) geborenen Sattlergesellen Johann Helmig zeigt.

Zum Vergrößern hier klickenWanderweg des Sattlergesellen Johann Helmig
Wanderweg des Sattlergesellen Johann Helmig

Seine Eltern, die vor der Gegenreformation aus Schlesien in das liberale Königreich Polen geflohen waren, lehrten ihn "zu Hause" lesen. Von 1643 an besucht er für sieben Jahre die Schule, erlernt anschließend in Buk die polnische Sprache und beginnt 1651 in Fraustadt eine kaufmännische Ausbildung.

Auf Anweisung seines Vaters unterzieht sich Helmig seit 1652 "wieder meinen Willen" einer dreijährigen Sattlerlehre und begibt sich 1655 auf Wanderschaft. Im gleichen Jahr durchreist er Schlesien und Mähren, wendet sich 1656 nach Böhmen und gelangt schließlich nach Leipzig. 1657 führt ihn sein Weg nach Wien und im folgenden Jahr 1658 nach Graz, Laibach, Villach "und Welschland". Hier besucht er die "vornehmsten Städte": Venedig, Padua, Ferrara, Verona, Brescia, Bergamo, Mantua, Florenz, Genua, Pavia, Mailand und Novara. "Übers Gebürge" kommt er 1658 noch in die Schweiz und bereist Genf, Lausanne, Bern, Zürich, Schaffhausen, Zurzach, Laufenburg, Rheinfelden und Basel. Rheinabwärts ziehend sieht er Freiburg, Breisach, Colmar und andere Städte.

Die weitere Wanderschaft führt ihn 1659 durch "Holland, Niederland [und] die See-Städte" - wahrscheinlich Bremen, Hamburg und Lübeck - nach Sachsen, in das Vogtland, nach Böhmen und Österreich, bis er schließlich 1660 in der "Ungarischen Kayserlichen" Berg-Stadt Neusohl Arbeit findet. Hier verweilt Helmig "ziemlich müde und mürbe an Geld / Kleidern und Gliedern" ein oder eineinhalb Jahre, denn er trifft am 23. September 1662 wieder in Fraustadt ein.

Nach dem Tod der Eltern "muste ich zu Hause bleiben / das Meisterstück machen und Bürger werden". Als angesehener Sattlermeister "wie auch dieser Löbl. Zunfft und der andern Incorporirten Gewercker wolverordneter Eltester" stirbt Helmig 1690 im Alter von 53 Jahren.