Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Wilhelm III. von Oranien (1650-1702)

01.09.2010

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Ulrich Niggemann

Protestantisches Kriegertum und Freiheit in den Debatten um die Glorious Revolution und den Spanischen Erbfolgekrieg

Wilhelm III. von Oranien während seiner Landung in Brixham [1/2]

Im England des späteren 17. und des 18. Jahrhunderts wurden Mitglieder der königlichen Familie üblicherweise nicht mehr im Rahmen eines aufwendigen Staatsbegräbnisses beigesetzt, sondern in einem stark reduzierten private funeral.[1] Das Fehlen einer am offenen Grab gehaltenen Leichenpredigt oder gar eines kostbaren Funeralwerks ist daher typisch für die englische bzw. britische Monarchie in dieser Zeit. Das heißt freilich nicht, daß es keine gedruckten Trauertexte gab. Tatsächlich sind im Falle König Wilhelms III. (geb. 1650, gest. 1702) über fünfzig unterschiedliche Drucke nachweisbar, darunter zahlreiche Predigten, die in den Kirchen Londons und des ganzen Landes gehalten worden waren und anschließend gedruckt wurden, aber auch Trauergedichte und kleinere Geschichtswerke. Diese zumeist auf billigem Papier im Oktav- oder Quartformat produzierten Texte wurden in großer Stückzahl auf dem seit 1695 weitgehend liberalisierten Buchmarkt verkauft und waren aufgrund ihres geringen Preises für breitere Schichten der Bevölkerung erschwinglich.

Auffällig ist der eminent politische Charakter dieses Schrifttums. Zwar enthalten gerade die Predigten auch viel Erbauliches – Erinnerungen an die Sterblichkeit aller Menschen und Mahnungen, sich durch ein christliches Leben auf den Tod vorzubereiten –, doch ein nicht unbeträchtlicher Teil der Texte besteht in Stellungnahmen zur aktuellen politischen Situation. Die Glorious Revolution von 1688/89 hatte den regierenden König Jakob II. mitsamt seinem erst im Juni 1688 geborenen männlichen Erben vom Thron und ins Exil getrieben. Vorangegangen war die Landung Wilhelms III. von Oranien, Generalstatthalter der Niederlande und Ehemann der ältesten Tochter Jakobs II., im November 1688 an der südenglischen Küste. Mit seinem niederländischen Heer war er in den folgenden Wochen in Richtung London marschiert, während sich Jakobs Armee zunehmend auflöste. Die Flucht des Königs und die Präsenz des Oraniers in London führte in dem Anfang Januar eilig zusammengerufenen Convention Parliament zu regen Debatten über die Zukunft der englischen Monarchie. Schließlich einigten sich beide Häuser des Parlaments darauf, Wilhelm zusammen mit seiner Frau Maria auf den Thron zu erheben. Dieser Schritt war freilich nicht unumstritten, denn obwohl die Mehrheit der Engländer die Politik Jakobs II. vor allem als massive Rekatholisierungspolitik und als gezielten Versuch einer "absolutistischen" Regierungsweise wahrnahm und deshalb ablehnte, wurde der Bruch in der Thronfolge von vielen als Sakrileg empfunden. Hinzu kam die fast unmittelbar nach der Krönung des neuen Königspaars einsetzende Verwicklung Englands in einen großen europäischen Konflikt, den Pfälzischen Krieg, die einer aufwendigen propagandistischen Legitimation bedurfte. Im März 1702, als Wilhelm starb, war der 1697 geschlossene Frieden von Rijswijk bereits wieder hinfällig geworden. Der Anerkennung des Erben Jakobs II. als König von England durch König Ludwig XIV. von Frankreich folgte fast unmittelbar die englische Kriegserklärung durch Königin Anna.[2]

Die in England publizierten Funeralschriften zum Tod Wilhelms waren daher geprägt von den innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Ergebnisse der Revolution von 1688/89 und die außenpolitische Lage am Beginn des Spanischen Erbfolgekriegs. Es verwundert deshalb kaum, daß die Charakterisierung des verstorbenen Königs wesentlich darauf angelegt war, Zustimmung zur Revolution und zum englischen Engagement auf dem Kontinent zu erzeugen.

So wurde die Regierungszeit Jakobs II. in den schwärzesten Farben gemalt und der drohende Untergang der englischen Freiheiten, des Rechts und der anglikanischen Kirche hervorgehoben. Diese Gefahr sei umso größer gewesen, als Jakob sich mit dem Inbegriff von Tyrannei und katholischer Intoleranz, Ludwig XIV., verbündet habe. Wilhelm III. wird in diesen Darstellungen als glorious deliverer zum Instrument der göttlichen Vorsehung in einem schicksalhaften Kampf zwischen Gut und Böse. Trotz der Sünden der Engländer habe Gott ein Einsehen gehabt und mit Wilhelm einen wahren protestantischen Helden geschickt, der sein eigenes Leben für die Freiheit riskiert habe. Der Helden- und Kriegerkult spielte innerhalb dieser Texte eine herausragende Rolle. Wilhelms persönliche Teilnahme an Schlachten wurde ebenso gerühmt wie seine herausragenden strategischen Fähigkeiten. Sein unerschütterlicher Glaube an die Vorsehung habe ihn auch im Falle von Niederlagen nie mutlos werden lassen. Als Herrscher in England habe er aus echter Freiheitsliebe die alten Rechte des Parlaments wiederhergestellt und die Rechte und Privilegien der Engländer auf eine sichere Basis gestellt.[3]

So entstand in den Funeralschriften als Teil der Legitimation und Propaganda nach der Glorious Revolution und am Beginn des Spanischen Erbfolgekriegs ein Bild Wilhelms als protestantischer Kriegerkönig, dessen Mission es gewesen sei, im Auftrag Gottes die Freiheit und den Protestantismus in England und in ganz Europa gegen die Übergriffe von "Tyrannen" zu verteidigen. In Grundzügen haben diese Ideen das englische Geschichtsbild und insbesondere die Wahrnehmung der Revolution langfristig geprägt.

 

Dr. ULRICH NIGGEMANN ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit der Philipps-Universität Marburg mit dem Fachgebiet Neuere Geschichte.

 

Anmerkungen:

[1] Die einzige Ausnahme im gesamten Zeitraum war das Begräbnis von Wilhelms Frau Maria 1695. Michael Schaich, The Funerals of the British Monarchy, in: ders. (Hg.), Monarchy and Religion. The Transformation of Royal Culture in Eighteenth-Century Europe (Studies of the German Historical Institute London), Oxford 2007, S. 421-450.

[2] Einführend zur "Glorious Revolution" z.B. Julian Hoppit, A Land of Liberty? England 1689-1727 (The New Oxford History of England), Oxford 2002, S. 13-50.

[3] Ulrich Niggemann, Der mediale Umgang mit dem Tod eines umstrittenen Herrschers. Die Memoria Wilhelms III. zwischen Glorious Revolution und Hannoverscher Thronfolge, in: Christine Roll/Frank Pohle/Matthias Myrczek (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln/Weimar/Wien 2010.

 

Zitierweise: Ulrich Niggemann, Wilhelm III. von Oranien (1650-1702). Protestantisches Kriegertum und Freiheit in den Debatten um die Glorious Revolution und den Spanischen Erbfolgekrieg, in: Leben in Leichenpredigten 09/2010, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/wilhelm-iii-von-oranien-1650-1702.html>

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