Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Maria II. Königin von England (1662-1694)

01.05.2011

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Ulrich Niggemann

Ever blessed memory – Königin an der Seite Wilhelms III.

Porträt von Maria II. Königin von England (1662-1694) [1/2]

Der Tod Marias II. am 28. Dezember 1694 stellte zweifellos einen Sonderfall in der englischen Geschichte dar: Eine gekrönte Herrscherin musste zu Grabe getragen werden, ohne dass darauf die Krönung eines Nachfolgers stattfand. 1689 war Maria, die älteste Tochter König Jakobs II., im Gefolge der ‚Glorious Revolution‛ zusammen mit ihrem Ehemann, Wilhelm III. von Oranien, Generalstatthalter der Niederlande, gekrönt worden. Zum einzigen Mal bestieg somit ein Herrscherpaar gemeinsam den Thron, auch wenn die exekutive Gewalt vorrangig bei Wilhelm liegen sollte.[1]

Doch noch in einem weiteren Punkt stellte der Tod Marias eine Ausnahme dar: Sie erhielt als letzte Herrscherin im England bzw. Großbritannien der Frühen Neuzeit ein aufwendiges public funeral. Schon zuvor war diese Form des Begräbnisses weitgehend außer Mode gekommen. Sowohl Karl II. (gest. 1685) als auch andere Mitglieder der königlichen Familie hatten nur noch im Aufwand stark reduzierte private funerals erhalten. Bei Maria jedoch erreichte der pompe funèbre einen neuen Höhepunkt, der zeitgenössischen Berichten zufolge alles zuvor Dagewesene in den Schatten stellte.[2] Dieser vermehrte Aufwand hatte auch zur Folge, dass Maria als einziges Mitglied der Königsfamilie nach 1660 noch eine Leichenpredigt erhielt, die vom Erzbischof von Canterbury, Thomas Tenison, am 5. März 1695 in der Westminster Abbey gehalten wurde.[3]

Die Gründe für den zu dieser Zeit bereits außergewöhnlichen zeremoniellen Aufwand liegen sicher weniger in der konkreten Bedeutung Marias für die Regierungsgeschäfte als vielmehr in ihrer Funktion für die Legitimierung des postrevolutionären Regimes in England. Im Gegensatz zum unnahbaren und landfremden Wilhelm war Maria in der Bevölkerung beliebt gewesen und hatte zudem diejenigen zufriedengestellt, die an der erbrechtlich begründeten Thronfolge festhielten, war sie als älteste Tochter Jakobs II. bis zum Frühsommer 1688 doch ohnehin die legitime Nachfolgerin gewesen.[4] Erst mit der – freilich äußerst umstrittenen – Geburt eines männlichen Thronerben am 10. Juni 1688 war sie an die zweite Stelle gerückt. Dieser Umstand wurde freilich in der Leichenpredigt Tenisons sorgsam ausgeblendet, die umstrittene Thronfolge und die Revolution gleichsam ignoriert.

Noch deutlicher wird die legitimatorische Funktion Marias in einer anderen Hinsicht: Maria spielte nämlich eine Schlüsselrolle in einer wesentlich von Revolutions-Bischöfen wie Gilbert Burnet, John Tillotson oder eben Thomas Tenison vorangetriebenen Reformation of Manners.[5] Diese zielte auf eine allgemeine Hebung der Sitten und der Moral im Sinne der Reformation. Der von Gott herbeigeführten Überwindung des ‚papistischen‛ Regimes Jakobs II. müsse nun auf Seiten der englischen Nation eine konsequente Einkehr und Besinnung auf religiöse Tugenden folgen. Nur so könne Gottes Unterstützung im Kampf gegen die katholisch-französische Macht auf dem Kontinent dauerhaft gesichert werden. In diesem Sinne schreibt Tenison in der Leichenpredigt für Maria: He [Gott] is Righteous, but we have been Wicked: He shewed what a mighty Blessing he had for a People, if they would become reform’d; but we were not sufficiently sensible, nor thankful. Their Majesties Letters for Reformation were early issu’d out, but how few had a just regard to them?[6] Königin Maria wurde in dieser Hinsicht als Exempel akzentuiert. Great is our Loss of a most Pious Queen in an Atheistical and Profane Age, heißt es bei Tenison.[7] Er lobte besonders ihre Weisheit, die auf Belesenheit, insbesondere in der Heiligen Schrift, beruht habe sowie ihre Devotion, ihre Piety , Charity, and Humility. Im Kern handelte es sich hier durchaus um mehr als nur den üblichen Frömmigkeits- und Tugendtopos. Vielmehr diente der Topos hier einem ganz speziellen Zweck, nämlich der Einbettung Marias in die postrevolutionäre Reformationspropaganda.

Dabei fällt gerade im Vergleich mit Wilhelm III. auf, dass Maria gewissermaßen die weiblichen Tugenden verkörperte, dass also in den Predigten gleichsam eine geschlechterspezifische Aufgabenteilung angedeutet wurde. Weit mehr als Wilhelm schien Maria für die Förderung von Frömmigkeit und Tugend, für die Hebung der nationalen Moral und für die karitativen Aufgaben verantwortlich zu sein. Man darf dabei freilich über den Gender-Aspekt hinaus nicht übersehen, daß Maria als Engländerin und Anglikanerin weit eher als Wilhelm geeignet schien, diese propagandistisch-legitimatorische Funktion zu erfüllen.

In diesem Zusammenhang ist auf eine weitere Besonderheit hinzuweisen: Die Leichenpredigt Thomas Tenisons blieb nämlich nicht unwidersprochen, vielmehr entzündete sich daran eine Debatte, die deutlich werden lässt, wie zentral die Wahrnehmung und Darstellung Marias innerhalb des ideologischen Kampfes zwischen den Revolutionsbefürwortern und ihren Gegnern war. In einer wahrscheinlich von Thomas Ken verfassten Antwort auf die Leichenpredigt Tenisons erhob der Autor schwere Vorwürfe gegen den Erzbischof, der seine seelsorgerlichen Pflichten verletzt habe, indem er es versäumt habe, Maria auf ihre Sünden gegen ihren Vater hinzuweisen. Mit ihrer Beteiligung an der Vertreibung Jakobs vom englischen Thron habe sie gegen das 5. Gebot verstoßen. It is far from my intentions here to dispute the Lawfulness of the Revolution, yet I may say that I never met with any so Bigotted to it, who would undertake to justifie all the part, which she as a Daughter had in it, and I am persuaded that it would mightily puzzle you, to tell us in particular, what those Obligations were, which she had to God, and to her Countrey, which were inconsistent with her Filial Duty.[8] Eine der Kernaussagen der Predigt Tenisons, nämlich seine Hervorhebung von Marias Tugenden und Frömmigkeit, wurde somit fundamental in Frage gestellt. Ihr Leben, so die Gegenschrift, sei von Gott eben aufgrund ihres Verstoßes gegen das 5. Gebot verkürzt worden.

Obwohl die Kontroverse um die Leichenpredigt Marias, die noch weitere Publikationen hervorbrachte, das positive Bild der Königin in der englischen Öffentlichkeit wohl nicht ernsthaft zu erschüttern vermochte, zeigt sich daran doch das Ringen um die Deutung der revolutionären Ereignisse. Trotz der vom Hof offenbar sorgsam kalkulierten Wirkung eines großen public funeral und einer vom Erzbischof von Canterbury gehaltenen Leichenpredigt gab es Versuche, eben diese Wirkung zu untergraben.

 

Dr. ULRICH NIGGEMANN ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit der Philipps-Universität Marburg mit dem Fachgebiet Neuere Geschichte.

 

Anmerkungen:

[1] Eckart Hellmuth, Wilhelm III. und Maria II. 1689-1702 und 1689-1694, in: Peter Wende (Hg.), Englische Könige und Königinnen. Von Heinrich VII. bis Elisabeth II., München 1998, S. 157-175.

[2] Michael Schaich, The Funerals of the British Monarchy, in: Ders. (Hg.), Monarchy and Religion. The Transformation of Royal Culture in Eighteenth-Century Europe (Studies of the German Historical Institute London), Oxford u.a. 2007, S. 421-450.

[3] Thomas Tenison, A Sermon Preached at the Funeral Of Her late Majesty Queen Mary Of Ever Blessed Memory in the Abbey-Church in Westminster. Upon March 5. 1694/5. By his Grace Thomas Lord Archbishop of Canterbury, London: Printed for Ri. Chiswell, at the Rose and Crown in St. Paul’s Chuchyard 1695 [Wing/T720].

[4] Frank Druffner, Unter Legitimationszwang: Wilhelm III. von Oranien und Maria II. Stuart, in: Christoph Kampmann u.a. (Hg.), Bourbon – Habsburg – Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700, Köln u.a. 2008, S. 74-84.

[5] Tony Claydon, William III and the Godly Revolution, Cambridge 1996.

[6] Tenison, Sermon (wie Anm. 3), S. 20.

[7] Ebd., S. 17.

[8] [Thomas Ken], A Letter to the Author of a Sermon Entitled ‚A Sermon Preach’d at the Funeral of her late Majesty Queen Mary, of ever blessed Memory’, [London, ohne Druckerangabe] 1695 [Wing/K265], S. 6.

 

Zitierweise: Ulrich Niggemann, Maria II. Königin von England (1662-1694). Ever blessed memory – Königin an der Seite Wilhelms III., in: Leben in Leichenpredigten 05/2011, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/maria-ii-koenigin-von-england-1662-1694.html>

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