Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Ludwig Heinrich Prinz von Nassau-Dillenburg (1681-1710)

01.06.2010

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Eva Bender

Karrierestrategien für nachgeborene Prinzen

Titelblatt der Leichenpredigt auf Ludwig Heinrich Fürst von Nassau-Dillenburg [1/2]

Während der Frühen Neuzeit folgte die Erziehung und Ausbildung von jungen Adligen und insbesondere von Prinzen bestimmten Konventionen. Im Alter von etwa sieben Jahren verließ der Junge das Frauenzimmer, in dem bereits eine erste Unterweisung in religiösen Themen stattgefunden hatte, und begann mit dem eigentlichen Unterricht. Bis zu seinem 15. oder 16. Lebensjahr wurde der adlige Schüler, der unter der Aufsicht eines Hofmeisters stand, in den unterschiedlichen Disziplinen der Studien – Schreiben, Lesen, Rechnen, Geometrie, Geschichte und Sprachen – sowie in den sogenannten ritterlichen Exerzitien, also vorrangig im Tanzen, Reiten, Fechten und Jagen geschult. In der Regel endete die Erziehung am heimischen Hof mit einer meist mehrjährigen Reise durch Europa – in einer Kavalierstour und in der hochadligen Form als Prinzenreise. Diese Reise diente vor allem dem Erwerb von Wissen und Fremderfahrung. Anschließend begab sich der junge Adlige in Militärdienste oder unterstützte, im Fall eines Erbprinzen, den fürstlichen Vater bei den Regierungsgeschäften, bis er diese selbst übernahm. Eine Prinzenreise war gegen Ende des 17. Jahrhunderts so obligatorisch, dass, wenn eine solche nicht absolviert werden konnte, dies sogar in der Leichenpredigt legitimiert werden musste.

Der Lebenslauf Ludwig Heinrichs von Nassau-Dillenburg kann als repräsentativ für nachgeborene Prinzen eines kleineren deutschen Fürstentums gegen Ende des 17. Jahrhunderts gelten. Ludwig Heinrich hatte zunächst eine ausführliche Erziehung am heimischen Hof genossen und weitere Studien an der Hohen Schule zu Herborn betrieben. Üblicherweise hätte er daraufhin eine Prinzenreise absolviert, die aufgrund des frühzeitigen Todes seiner Eltern nicht durchgeführt werden konnte. Sein Bruder hatte dennoch [...] auff andere dienliche Wege hochgedachtem Printzen zu seinem rühmlichen Zweck geholffen[1] und ihm eine Kommandeursstellung zunächst in preußischen und darauf in kurpfälzischen Diensten besorgt.

In der Leichenpredigt Ludwig Heinrichs von Nassau-Dillenburg wird ein komplexes Problem angesprochen: zum einen die Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit, in diesem Fall die idealerweise zu absolvierende Prinzenreise, sowie zum anderen die militärische Laufbahn, die insbesondere für nachgeborene Prinzen als gleichwertige Alternative zu einer Prinzenreise galt. Dies war bereits den Zeitgenossen bewusst und so stellte der wohl bekannteste Fürstenspiegelautor des 17. Jahrhunderts, Veit Ludwig von Seckendorff, einen Militärdienst auf die gleiche Stufe mit einer Prinzenreise, um damit zu Ruhm und Ansehen zu gelangen.[2] Darüber hinaus wurde das Manko der fehlenden Prinzenreise in der Leichenpredigt argumentativ kompensiert, indem die heimische Ausbildung des Dillenburger Prinzen und seine Studienerfolge, die er an der Hohen Schule in Herborn erworben hatte, hervorgehoben wurden. In Herborn wurde er - wie bei den Dillenburger Prinzen üblich - mit dem Studienbeginn seines nächstjüngeren Bruders Christian (geb. 1688) im Jahr 1700 zum Rector Magnificentissimus ernannt.[3] Ludwig Heinrich erwies sich dieses Ehrenamtes würdig und hielt eine ausführliche lateinische Rede, mit der er Professoren und Studierende beeindruckte.

Ludwig Heinrich von Nassau-Dillenburg konnte trotz seiner Stellung als dritter Bruder in der Geburtenfolge also dem Ideal eines tugendhaften Prinzen gerecht werden, obwohl er keine Prinzenreise absolviert hatte. Bereits in jungen Jahren hatte er eine umfassende, dem adligen Ideal angemessene Bildung erlangt und anschließend eine vielversprechende Militärkarriere begonnen. Er wurde somit dem topischen Ideal des tugendhaften Fürsten gerecht, der gleichermaßen in arma et litterae gebildet war, auch ohne die sonst übliche Prinzenreise unternommen zu haben. Seine vielversprechende Militärkarriere endete jedoch bereits während des Spanischen Erbfolgekrieges, in welchem er im Alter von 29 Jahren am 3. Januar 1710 an Erschöpfung starb.

Ludwig Heinrich von Nassau-Dillenburg ist, möglicherweise durch seinen frühen Tod, einer der wenigen Prinzen seiner Generation,[4] die überhaupt keine Prinzenreise unternommen haben. Viele nachgeborene Prinzen, die zunächst in Militärdienste traten, holten eine wenigstens reduzierte Prinzenreise in der Winterpause der Truppen nach, so dass dieser Mangel im Lebenslauf des Dillenburger Prinzen in der Leichenpredigt durch die Betonung der alternativen Strategien niedrig gehalten werden konnte.

 

Dr. EVA BENDER ist Historikerin mit den Forschungsschwerpunkten Bildungs- und Prinzenreisen, adlige Memoria sowie höfische und politische Kommunikation in der Frühen Neuzeit.

 

Bestand: Hessische Landesbibliothek Wiesbaden
Signaturen: Quart. Gb 3430 II / Quart. Gb 5003 II / Quart. Gb 5572 II
Enthalten in: Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften in der Hessischen Landesbibliothek Wiesbaden (Marburger Personalschriften-Forschungen 23), Stuttgart 1999

 

Anmerkungen:

[1] Johann Henrich Arndorff, Sichere Friedens-Wohnung der Kinder Gottes [...], Herborn 1710 (VD18 11424206), Digitalisat der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, PURL: http://digital.slub-dresden.de/id366212494 (Zugriff: 17.05.2010). Die Details des Lebenslaufes entstammen dem Personalia-Teil der Leichenpredigt.

[2] Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fürstenstaat, Hanau 1656, S. 118f.: Die anderweite fernere Versorgung, nach dem die Fürstlichen und dergleichen Kinder etwas erwachsen, und in denen nothwendigen Stücken, die wir vorhero beyläufig angezeigt, angewiesen werden, welches nach Unterschied ihrer Art und Fähigkeit gegen das 16. und 18. Jahr bey jungen Herren zu geschehen pflegt, erachten wir darin zu bestehen, daß sie alsdenn zu einer Erfahrung der Sachen, die ihnen nöthig, nützlich oder wol anständig, nach Gelegenheit entweder zu einer und anderer vornehmen Verrichtung bey den Regiments=Geschäften gezogen, oder an frembde Höfe und Länder oder Hohe Schulen, doch mit guter Behutsamkeit gebührlicher Instruction und treuen Dienern, oder in rechtmässige Kriege für das Vaterland, oder eine bekante redliche Sache, geführet werden, [...] Hervorhebung im Original.

[3] Gottfried Zedler/Hans Sommer (Hg.), Die Matrikel der Hohen Schule und des Paedagogiums zu Herborn (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Nassau 5), Wiesbaden 1908, S. 145.

[4] Vgl. Eva Bender, Die Prinzenreise. Kavalierstour und Bildungsaufenthalt im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts., Diss. phil. Philipps-Universität Marburg 2009.

 

Zitierweise: Eva Bender, Ludwig Heinrich Prinz von Nassau-Dillenburg (1681-1710). Karrierestrategien für nachgeborene Prinzen, in: Leben in Leichenpredigten 06/2010, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/ludwig-heinrich-von-nassau-dillenburg-1681-1710.html>

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