Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Franz I. Stephan (1708-1765)

01.03.2010

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: André Griemert

Da er bestimmt war ein Vater eines [...] Joseph zu seyn – Franz Stephans Leichenpredigten als Medien theresianischer Erinnerungspolitik

Porträt Kaiser (HRR) Franz I. Stephan [1/2]

Franz I. Stephan ist als Reichsoberhaupt bis heute ein Unbekannter. Die Gründe sind vielfältig und liegen zum einen im Dualismus zwischen Habsburg und Preußen, zum anderen in der borussischen Historiographie des 19. Jahrhunderts begründet. In ihrer Tradition beschreibt die Forschung bis heute Franz Stephan als unpolitisch und tendenziell inkompetent. Trotz jüngster Anstrengungen, insbesondere Renate Zedingers, bezüglich einer Modifikation dieses Bildes änderte sich obiges Verdikt wenig. Im Zentrum der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Franz Stephan stehen vorwiegend seine Rollen als liebender Ehemann und sorgenvoller Vater, mithin also seine privaten und menschlichen Eigenschaften[1]. Allein schon diese angeführten Gründe sind derart wirkmächtig, dass in einigen Kurzbiographien über Franz Stephan nicht er, sondern allein seine Frau behandelt wird. Zur Marginalisierung Franz Stephans durch Maria Theresia kommen seine Aktivitäten auf dem Gebiet der Wissenschaften und als Förderer der Kunst hinzu, die viele Studien ebenso regelmäßig hervorheben, wie seine exzellenten Fähigkeiten als Ökonom. Dabei findet sich dieses Bild, dem eine erstaunliche Zählebigkeit inhärent ist, auch in den populären Erinnerungsorten zu Franz Stephan und Maria Theresia in Deutschland und vor allem Österreich wieder.

Als Ursachen für diese historiographische Situation führten in der Vergangenheit einige Arbeiten die mehr als diffizil zu bezeichnende Quellensituation zum politischen Wirken Franz Stephans an. Sowohl Fred Hennings als auch Alois Schmid konstatierten das Fehlen von aussagekräftigen Dokumenten. Beide vermuteten eine von Maria Theresia befohlene und planvoll durchgeführte Säuberung relevanter Bestände von politischen Äußerungen ihres Mannes im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Schmid stellte die These auf, dass auf diese Weise konträre politische Einstellungen Franz Stephans postum entfernt werden sollten und intendierte damit unbenannt eine bewusste Erinnerungspolitik. Indessen erscheint es schwer denkbar, dass das skizzierte, im Kern bis heute unpolitische Bild Franz Stephans allein durch die Säuberung einiger weniger Bestände eines einzigen, wenn auch des zentralen Archivs entstehen konnte. Es liegt auf der Hand, die weitere Suche für diese Gründe in einer Quellengattung anzusetzen, die nach seinem Tod entstand, nämlich in seinen 43 bisher bekannten Trauerreden.

Eine erste Analyse einiger Exemplare aus dieser Quellengattung konnte zeigen, dass in den Funeralreden tatsächlich narrative Strukturen aufscheinen, die in toto obiges Franz-Stephan-Bild wiedergeben und auf eine mögliche Erinnerungspolitik von Seiten der Wiener Hofburg hinweisen, die ihren Weg bis in die heutige Forschung fand.

Die Leichenreden zeigen in ihrer Tiefenstruktur aber auch Motive für eine dezidierte Erinnerungspolitik auf, die in das oben skizzierte Bild einzuordnen sind. Neben der Überspielung der seit dem Amtsantritt Kaunitz' sich verstärkenden Konflikte zwischen den Ehepartnern, die das harmonische Eheleben der ersten Jahre nachhaltig beeinträchtigten, steht in vielen der untersuchten Predigten die Legitimation des neuen Hauses Habsburg-Lothringen und dessen Ansprüche auf das Kaisertum im Zentrum. Hiervon leitet sich schließlich auch die eigentliche Rolle Franz Stephans als 'Nicht-Habsburger' ab: er sollte als zweiter Stammvater des Erzhauses gleich dem alttestamentarischen Jacob ausschließlich der Vater eines Josephs und damit einer neuen Tradition sein.

 

Dr. ANDRÉ GRIEMERT ist Studienrat an der Hohen Landesschule in Hanau. Als Graduiertenstipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung promovierte der Autor 2011 an der Philipps-Universität Marburg mit einer Arbeit über "Jüdische Prozesse vor dem Reichshofrat. Ein diachroner Vergleich der Regierungszeiten Rudolfs II. (1576-1603/12) und Franz I. Stephans (1745-1765)".

 

Anmerkung:  

[1] Dies gilt auch für die neuste Veröffentlichung von Renate Zedinger, Franz Stephan von Lothringen (1708-1765). Monarch, Manager, Mäzen (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 13), Köln/Weimar/Wien 2008 . Siehe hierzu demnächst André Griemert, Rezension zu Zedinger, Renate, Franz Stephan von Lothringen (1708-1765). Monarch, Manager, Mäzen (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 13), Wien/Köln/Weimar 2008, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 59 (2009) (in Vorbereitung).

 

Zitierweise: André Griemert, Franz I. Stephan (1708-1765). Da er bestimmt war ein Vater eines [...] Joseph zu seyn – Franz Stephans Leichenpredigten als Medien theresianischer Erinnerungspolitik, in: Leben in Leichenpredigten 03/2010, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/franz-i-stephan-1708-1765.html>

Dateien:
Franz I. in Leichenpredigten (längere Fassung)(252 K)

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