Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Christian von Feilitzsch (28.12.1614-11.03.1617)

01.02.2017

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Ute Eismann

Wenn mich auch der HERR gleich tödet/ solte ich denn nicht auff ihn hoffen? – Trost durch eine außergewöhnliche Leichenpredigt für ein Kleinkind

Babenhausener Totentanz (Ausschnitt) [1/4]

Die Beerdigung eines Kleinkindes war in der Frühen Neuzeit keine Seltenheit; die Zahl der archivierten Beerdigungspredigten für Kinder ist dennoch vergleichsweise gering.[1] Christian von Feilitzsch war eines der wenigen, zumeist adligen Kinder im Vogtland, für die eine Leichenpredigt verfasst und gedruckt wurde. Wie kann das kurze Leben in der Predigt zur Sprache kommen, und wie ist Trost beim Tod eines Kleinkindes überhaupt möglich? - Für die Beantwortung dieser beiden Fragen existierten bestimmte Muster, und an das Bemühen um Trost waren meist weitere Intentionen gebunden.[2] Die hier vorliegende Trauerschrift folgt keinem dieser Muster und sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Trostpredigt ohne Nebenabsichten.

Aus der Quelle erfahren wir, dass Christian von Feilitzsch, Sohn des Urban Caspars von Feilitzsch/ off Kürbitz und Bernstein etc. Fürstl. Brandenb. vornehmbsten geheimbsten Raths/ und Cantzley-Directoris, auch Hoff und Lehensrichters etc.[3] am 11. März 1617 im Alter von zwei Jahren, elf Wochen und zwei Tagen nachts zwischen elf und zwölf Uhr in Bayreuth verstarb und am 19. März 1617 dort begraben wurde.[4] Sein daraus berechnetes Geburtsdatum ist der 28. Dezember 1614. Die Todesursache bleibt unbekannt. Die Predigt hielt der Doktor der Heiligen Schrift und Generalsuperintendent Christoph Schleupner (1566-1635; 1612-1621 Pfarrer, Superintendent und Hofprediger in Bayreuth).[5]

Da das verstorbene Kind Nachkomme eines weitverzweigten Adelsgeschlechts war, dessen Wurzeln sich bis ins elfte Jahrhundert zurückverfolgen lassen, liefern sekundäre Quellen weitere Informationen:[6] Christian war das siebente von elf Kindern und der dritte von fünf Söhnen seines Vaters Urban Caspar von Feilitzsch (1586-1649) aus dessen Ehe mit Veronica, geborene von Mülich. Zu seinem Todeszeitpunkt lebten ein neunjähriger Bruder und eine achtjährige Schwester; drei Brüder und zwei Schwestern - alle jünger als vier Jahre - waren bereits vor ihm verstorben.[7] Seinem Vater wird von seinen Zeitgenossen bescheinigt, ein "geistig sehr begabter und unterrichteter Mann",[8] ein erfahrener Politiker (u.a. Mitunterzeichner des Westfälischen Friedens) und zutiefst frommer Mann gewesen zu sein.[9]

Bei der Auslegung des Predigttextes aus Psalm 90,1-3 erfolgt zunächst eine allgemeine Lehre in sechs Punkten über das Sterben; in deren letztem Punkt wird die Trauer der Angehörigen mit Hilfe von sechs biblischen Beispielen trauernder Eltern legitimiert. Die Gemeinde wird mit Worten aus 1.Korinther 13 und Römer 12 zum Mittrauern aufgefordert.[10] Hier geschieht die erste Abweichung vom üblichen Textschema: Im Gegensatz zum damaligen Bemühen der Prediger, das Trauern um der Ehre Gottes willen möglichst zu begrenzen, wird hier die Trauer der Angehörigen nicht nur zugelassen, sondern mit Worten aus Sirach 22 und 38 sogar dazu ermutigt.[11] So nimmt Schleupner allen Druck von den Hinterbliebenen und gibt Raum für die Trauerarbeit.

Danach werden die für die Auslegung des Textes bestimmenden Leitfragen genannt:
1. Wer doch der jenige sey/ der uns unsere Kinder und andere liebe Leuth/ von der Seiten hinweg nehme?[12]
2. Wo Er mit ihnen hinkomme?[13]
Bei der Beantwortung der ersten Frage[14] beschäftigt sich der Prediger argumentativ mit der Theodizeefrage. Der anschließende "Nutz dieses Berichts"[15] enthält die Trostbotschaft, welche sich auf die Auferstehungshoffnung gründet. Bei der Beantwortung der zweiten Frage "beschreibt" der Prediger die Auferstehung der Toten durch Gottes Ruf "der Seele nach" sofort und "dem Leib nach" am Jüngsten Tag (Psalm 90,3b).[16] Auch hier weicht Schleupner von der Norm ab: Im Gegensatz zum damaligen Konsens[17] erlaubt er die Theodizeefrage, welche er bei den Eltern vermutet, und spricht sie sogar selbst an. Er schwört die Trauernden nicht, wie damals üblich, auf den "guten Willen Gottes" ein, sondern versucht, sie - dennoch - an den Gott allen Trostes zurückzuverweisen.

Der Funeraldruck enthält nicht, wie sonst üblich, einen speziellen Personalia-Teil mit dem adligen Stammbaum sowie der Aufzählung der meist adligen Paten. Auch aus der Predigt selbst erfährt der Leser nichts über das Leben des Kindes. Der kurze biographische Einschub bezieht sich mehr auf die Herkunftsfamilie als auf das Kind.[18] Die mehrfache Anwendung des Schemas von explicatio und applicatio verhindert jedoch den Eindruck, es handele sich hier um eine unpersönliche Lehrpredigt. Die Verbindung zwischen dem verstorbenen Kind und dem Predigttext wird vor allem im letzten Kapitel der Predigt hergestellt: Der HERR im Himel hat ihm geruffen/ wie dem Samuel/ 1. Samuel: 3. Und wenn der letzte Tag kommen wird/ soll noch ein ruffen nach Ihm geschehen/ Ja man wird ihm die Posaunen Gottes blasen/ und mit derselben zum Himmel erfordern/ 1. Thess: 4.[19] Damit werden die Hinterbliebenen der Auferstehung des Kindes versichert. Auch wenn dessen Taufe nicht explizit erwähnt wird, steht sie unausgesprochen im Hintergrund und ist die Grundlage für die Auferstehungshoffnung der Eltern für ihr Kind.[20]

Auf dreifachem Weg erreicht der Trost dieser Predigt seine Hörer:
1. Der Trost durch die Vergewisserung der Auferstehung hat die Erwartung des Wiedersehens, ja sogar der "göttlichen Wiedergabe" des Kindes zur Folge. Hierbei kommt der Prediger komplett ohne die sonst für Leichenpredigten auf Kinder häufig bemühten tröstlichen "Himmelsphantasien"[21] aus; Metaphern verwendet Schleupner ausschließlich zur Beschreibung des Wesens Gottes. In seinen Ausführungen hält sich er sich sehr konsequent und klar an die Verse des Predigtpsalms.
2. Der Trost durch die Stärkung des Gottvertrauens der trauernden Angehörigen, worin der Prediger offensichtlich seine wichtigste Aufgabe sieht. Mit einem starken Gottvertrauen können die Trauernden nicht nur den Tod des Kindes bewältigen, sondern auch das weitere Leben. Seine Bemühungen sind wirkungsvoll durch ein sehr tröstliches Gottesbild: Gott ist der allmächtige und souveräne, aber vollkommen vertrauenswürdige Gott, der es in jedem Fall gut mit den gläubigen Menschen meint. Besonders schön und zusammenhängend formuliert Schleupner das im ersten Punkt seiner Predigt mit der Begründung: Damit man sich aber vor diesem Nemer und Vollmächter/ deß Menschlichen sterbens/ desto weniger fürchten möge.[22] Darüber hinaus bildet dieser Gedanke den Hintergrund seiner gesamten Predigt: Gott ist der Herr über Leben und Tod, er ist der Anfänger allen Wesens (abgeleitet aus dem hebräischen Namen Gottes in Exodus 3,14), er ist der Herrscher (abgeleitet aus dem deutschen Wort "Herr"), aber im Wort "Gott" steckt auch "gut" nach (Matthäus 19,17).[23] Das Fazit des Predigers ist: Ist Er nun HERR/ so hat Er auch Macht über uns [...] Ist Er GOtt/ der gute GOtt/ so wird Ers gut mit uns meinen.[24] Hierzu passen auch die tröstlichen Bilder für Gott, z.B. [...] eine Hütte [...] zum Schatten des tages für die Hitze/ Und eine Zuflucht und verbergung für dem Wetter und Regen.[25]
3. Trost durch die seelsorgerliche Haltung des Predigers, die sich in dem einzigen lateinischen Satz dieser Leichenpredigt widerspiegelt: Etiam si occiderit me DOMINUS, nonne sperarem? Wenn mich auch der Herr gleich tödet/ solte ich denn nicht auff ihn hoffen?[26] Dieses an Hiob 13,15 angelehnte Wort scheint das Grundmotto dieser Predigt zu sein. Der Pfarrer wusste, wovon er redet; war er doch bis zum Jahr 1617 bereits zweimal verwitwet.[27] Sein spürbar tiefes Verständnis für die Trauernden wird durch die gesamte Predigt hindurch erkennbar.

Die Trauerschrift auf Christian von Feilitzsch widerlegt die in der wissenschaftlichen Literatur häufig zu findende Überzeugung, angesichts der hohen Kindersterblichkeit dieser Zeit hätte bei den Eltern angesichts des Todes ihrer Kinder eine gewisse Gleichgültigkeit geherrscht und sie wären nicht wirklich trostbedürftig gewesen. Nicht nur Schleupners Bemühungen um Trost widerlegen dies; auch Unterstreichungen und Bemerkungen am Rand der Predigt mit zierlicher Handschrift zeugen von der Betroffenheit eines trauernden Angehörigen bei der Auseinandersetzung mit diesem Text.

Diese Leichenpredigt ist aus mehreren Gründen sehr ungewöhnlich und passt nicht zum allgemeinen Konsens dieser Zeit:
Sie kommt ohne sprachliche Schnörkel und mit minimalen Anteilen an lateinischen Einsprengseln aus; sie benötigt zum Trösten keine phantasievollen Metaphern für die Beschreibung der jenseitigen Welt; inhaltlich droht sie nicht mit dem pädagogischen oder theologischen "Zeigefinger", sondern lässt Trauer zu und stellt sich der Theodizeefrage. Mit allem dahinter liegenden, erst heute vorhandenen psychologischen Wissen ist sie eher mit einer modernen Beerdigungspredigt vergleichbar als mit einer Leichenpredigt der Frühen Neuzeit.

 

UTE EISMANN M.A. war von 2013 bis 2016 Studentin des Masterstudiengangs Evangelische Theologie an der Philipps-Universität Marburg. Sie schrieb die Masterarbeit zum Thema: "Trost für verwaiste Eltern - Leichenpredigten des frühen 17. Jahrhunderts auf Kinder und Jugendliche". Zurzeit ist sie Pfarrvikarin in Plauen.

 

Bestand: Vogtlandbibliothek Plauen
Signatur: 1882 G1-31
Enthalten in: Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften in Bibliotheken, Archiven und Museen des sächsischen Vogtlandes (Marburger Personalschriften-Forschungen 41), Stuttgart 2005.

 

Anmerkungen:

[1] Rudolf Lenz, Artikel "Leichenpredigt", in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 20, in Gemeinschaft mit Horst Balz hg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, Berlin/New York 1990, S. 665-669, hier S. 668.

[2] Vgl. Marion Kobelt-Groch, Freudiger Abschied Jungfräulicher Seelen, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 31 (2004), S. 117-147.

[3] Christoph Schleupner, Christliche Grab- und Trost-Predigt/ Bey der Adelichen Leichbegengnuß/ Christiani, Des [...] Urban Caspars von Feilitsch/ uff Kürbitz und Bernstein [...] Hertzliebsten Söhnleins: Welches Anno 1617. den 11. Martii [...] zu Bayreuth seliglich entschlaffen/ seines alters 2. Jahr [...] Und hernach den 19. eiusdem [...] bestattet worden [...], [Hof an der Saale] 1617, Titelblatt (S. 640 der handschriftlichen Paginierung), Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) (VD17 3:643802E; Signatur: Pon Zb 1214 (1)), PURL (Werk): http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-75706 (Zugriff: 03.01.2017).

[4] Vgl. ebd.

[5] Vgl. Matthias Simon, Bayreuthisches Pfarrerbuch. Die evangelisch-lutherische Geistlichkeit des Fürstentums Kulmbach-Bayreuth (1528/29-1810) (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 12), München 1930, S. 288.

[6] Vgl. Wilhelm Ludwig Karl Adolph Freiherr von Feilitzsch, Geschichte und Genealogie der Freiherrlichen Familie von Feilitzsch, Neustadt a.d. Aisch 1875, S. 251f.

[7] In der Leichenpredigt selbst wird das durch eine knappe Bemerkung bestätigt. Vgl. Schleupner, Trost-Predigt (wie Anm. 3), Bl. A4r (S. 646).

[8] Feilitzsch, Familie (wie Anm. 6), S. 249.

[9] Vgl. ebd.; sowie A. Kunze, Der Kanzler Urban Caspar von Feilitzsch, in: Vogtländischer Anzeiger und Tageblatt, Nr. 41 vom 09.10.1937, S. 2.

[10] Vgl. Schleupner, Trost-Predigt (wie Anm. 3), Bl. A4r (S. 646).

[11] Kobelt-Groch, Abschied (wie Anm. 2), S. 142; und Schleupner, Trost-Predigt (wie Anm. 3), Bl. A2v (S. 643).

[12] Ebd., Bl. A4v (S. 647).

[13] Ebd.

[14] Ebd., Bl. B1r-B3r (S. 648-650).

[15] Ebd., Bl. B3r (S. 650).

[16] Ebd., Bl. B3v (S. 651).

[17] Kobelt-Groch, Abschied (wie Anm. 2), S. 117.

[18] Vgl. Schleupner, Trost-Predigt (wie Anm. 3), Bl. A4r (S. 646).

[19] Ebd., Bl. B4v (S. 653).

[20] Es ist undenkbar, dass ein zweijähriges Kind aus christlichem Hause nicht getauft gewesen sein sollte.

[21] Kobelt-Groch, Abschied (wie Anm. 2), S. 118.

[22] Schleupner, Trost-Predigt (wie Anm. 3), Bl. B2r (S. 649).

[23] Vgl. ebd.

[24] Ebd.

[25] Ebd.

[26] Ebd., Bl. B2v (S. 649a). Die Seitenzahl kam durch einen Fehler bei der handschriftlichen Paginierung der gedruckten Leichenpredigt zustande.

[27] Simon, Pfarrerbuch (wie Anm. 5), S. 289.

 

Zitierweise: Ute Eismann, Christian von Feilitzsch (28.12.1614-11.03.1617). Wenn mich auch der HERR gleich tödet/ solte ich denn nicht auff ihn hoffen? – Trost durch eine außergewöhnliche Leichenpredigt für ein Kleinkind, in: Leben in Leichenpredigten 02/2017, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/christian-von-feilitzsch-28121614-11031617.html>

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