Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Gewinne aus Verlust?

21.09.2017

Kategorie: Neuerscheinungen

Beitrag von Jörg Witzel über autobiographische Texte in Leichenpredigten

Druckfrisch ist soeben ein von Jörg. H. Lampe herausgegebener Sammelband erschienen, der die Beiträge einer Sektion des 50. Historikertages in Göttingen vereint. Mit Blick auf das Motto der Veranstaltung - "Gewinner und Verlierer"- zeigen Vertreter unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen wie Numismatik, Kunst- und Architekturgeschichte oder Epigraphik darin die besonderen Charakteristika der von ihnen untersuchten Quellen auf und berichten, welche spezifischen Erkenntnisgewinne für die breitere Forschungslandschaft aus deren Analyse resultieren. Vorgestellt werden Objekte, die sich an die Öffentlichkeit richten und durch ihre Beschaffenheit, etwa Material oder Gestaltung, Anspruch auf Dauer- und schlussendlich auch Wahrhaftigkeit erheben. Den damit einhergehenden Strategien öffentlicher Präsentation und Inszenierung nähern sich die Beiträge im Kontext der zeitgenössischen Deutung und Verarbeitung von Erfolg und Misserfolg aus verschiedenen Perspektiven.

Gerade die Quellengattung der Leichenpredigten ist für diesen Forschungsansatz prädestiniert - dies zeigt Jörg Witzel, Mitarbeiter der Forschungsstelle, mit seiner Analyse autobiographischer Texte in Leichenpredigten auf, die er bereits als Teilnehmer der Sektion während des Historikertages vorstellte und die nun im Rahmen des Bandes publiziert wurde.

Der Aufsatz befasst sich mit der Art und Weise, wie Frauen und Männer, die in der Frühen Neuzeit Lebensläufe zur späteren, posthumen Verwendung in ihren Leichenpredigten verfassten, darin Verlusterfahrungen darstellen. Welche Bedeutung schreiben sie ihnen zu? Lassen sie dabei auch Emotionen zum Ausdruck gelangen? Wird weltlicher Verlust zu geistlichem Gewinn umgedeutet? An drei thematischen Schwerpunkten wird diesen Fragen nachgegangen.

Zunächst geht es um Verluste, die der Dreißigjährige Krieg mit sich brachte. Festzuhalten ist, dass weder ein Autor noch eine Autorin die regionalen Kriegsereignisse, von denen sie betroffen waren, in einen größeren historischen Bedeutungszusammenhang einordnen. Auch fehlen Mahnungen an die Nachwelt, die man aus den geschilderten Schrecken des Krieges hätte ableiten können. Männliche Verfasser stellen vor allem die Hindernisse dar, die ihnen der Krieg auf ihrem individuellen Bildungsweg entgegenstellte. Deren erfolgreiche Überwindung zeichnet sie als Gewinner aus.

Die Schilderung oder Erwähnung von Verlusten Familienangehöriger oder anderer nahestehender Menschen spielt in den untersuchten autobiographischen Lebensläufen eine große Rolle. Eine vorwiegend emotionslose Hinnahme des Todes naher Angehöriger kann in diesen Texten nicht festgestellt werden. Wird der Verlust des Ehemanns beschrieben, gelangt bei Autorinnen ausnahmslos Emotionalität zum Ausdruck, während eine deutliche Mehrheit der Autoren nicht das Bedürfnis hatte, den Tod ihrer Ehefrauen in ihren Autobiographien offen zu beklagen. Zeichen emotionaler Regung finden sich bei den Verfassern beider Geschlechter gleichermaßen selten, wenn der Tod von Kindern zu vermelden ist.

Im dritten thematischen Schwerpunkt geht es um den Verlust von Gesundheit. Häufiger als durch Krieg erlittene Verluste oder der Tod nahestehender Menschen werden Krankheiten von den Verfasserinnen und Verfassern autobiographischer Lebensläufe als Gewinn für die eigene Spiritualität interpretiert.

Der Band ist im Rahmen des Projektes "Die Deutschen Inschriften" erschienen, einem Vorhaben der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Kommission Deutsche Inschriften des Mittelalters und der frühen Neuzeit).

 

Bibliographische Informationen:
Jörg Witzel, Gewinne aus Verlust? Von Verlusten in autobiografischen Texten aus Leichenpredigten, in: Jörg H. Lampe (Hg.), Gewinner und Verlierer in Medien der Selbstdarstellung. Bilder, Bauten, Inschriften, Leichenpredigten, Münzen und Medaillen in der Frühen Neuzeit, Wiesbaden 2017, S. 81-97, ISBN: 978-3-95490-252-1.

 

 

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