Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Band 51 der Marburger Personalschriften-Forschungen erschienen

04.01.2011

Kategorie: Neuerscheinungen

Karte mit räumlicher Verteilung der Sterbe- und Beerdigungsorte in MPF51 [1/2]

Band 51 der Marburger Personalschriften-Forschungen ist erschienen:

Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften in der Historischen Bibliothek der Stadt Rudolstadt. 4 Bde. 51/1-2 Katalogteil I-II. 2010. XVIII, 1354 Seiten; 51/3-4 Registerteil I-II. 2010. VIII, 1190 Seiten, mit Karte und Diagramm. ISBN 978-3-515-09822-9. Zus. EUR 190,00.

Der mittlerweile fünfte Band des Thüringen-Projektes der Forschungsstelle für Personalschriften widmet sich dem Bestand der Historischen Bibliothek der Stadt Rudolstadt. Deren Sammlungen repräsentieren – von Alter und Umfang her – nicht nur den bedeutendsten Bücherschatz dieser alten thüringischen Residenz der Grafen und Fürsten zu Schwarzburg-Rudolstadt. Bemerkenswert ist auch, dass in der überaus wechselvollen Geschichte der Bibliothek der Bestand des Funeralschrifttums weitgehend unangetastet geblieben ist. Dies spiegelt sich im Umfang des vorliegenden Katalogs wider, der die vorhandenen Leichenpredigten und sonstigen Trauerschriften in 4.041 Einträgen erschließt.

Die zumeist in Sammelbänden vorliegenden Quellen decken ein außerordentlich breit gefächertes Spektrum ab, sowohl zeitlich als auch thematisch: Die älteste Leichenpredigt ist sinnigerweise diejenige von Johannes Bugenhagen auf Martin Luther, den Begründer dieser Literaturgattung, erschienen 1546 im Todesjahr des Reformators. Daneben liegen Funeralschriften aus drei Jahrhunderten auf zahlreiche Herrscherhäuser vor. Unter den Leichenpredigten auf Mitglieder der ehemals regierenden Schwarzburg-Rudolstädter Linie finden sich u.a. die hinsichtlich ihres Umfangs und künstlerischen Ausstattung innerhalb des dynastischen Gedenkens eine Sonderstellung einnehmenden Funeralpublikationen für Graf Albert Anton (1641-1710) und seine Gemahlin Aemilie Juliane (1637-1706). Darüberhinaus bezeugen zahlreiche weitere Trauerschriften auf Angehörige z.B. der Reußen, Wettiner und Hohenzollern sowie Prachtbände auf hessische Landgrafen und Mitglieder des Kaiserhauses sowie anderer europäischer Dynastien den Reichtum des Quellenbestandes.

Dieser lässt aber keineswegs nur Rückschlüsse auf adlige Lebenswelten zu. Unter den insgesamt 2.105 Verstorbenen, denen die katalogisierten Leichenpredigten gewidmet sind, finden sich 1.436 Angehörige des Bürgertums (68,22 Prozent). Die Fülle der Darstellungen reicht dabei über Beschreibungen von Kindheit und beruflichen Werdegängen, Ehedramen, Mordprozessen, religiöser Sinnsuche und Grausamkeiten des Krieges bis hin zur Schilderung höchst interessanter medizinischer Fälle. In den Predigten finden sich die unterschiedlichsten gesellschaftliche Gruppen wieder, neben Vertretern aus der Geistlichkeit, Regierungs-, Verwaltungs- und Justizbeamten, Akademikern und Kaufleuten erscheinen ebenso Handwerker wie z.B. Goldschmiede, Bäcker, Barbiere, Bernsteinarbeiter, Posamentierer und Uhrmacher, aber auch Ärzte, Soldaten und Künstler.

Der Bestand der Historischen Bibliothek Rudolstadt kann entsprechend viele außergewöhnliche Leichenpredigten vorweisen. So z.B. diejenige auf Margareta Lohr, die 1718 von ihrem arbeitslosen und oft betrunkenem Mann, den sie bereits verlassen hatte, von hinten mit dem „geschlieffenen Degen durch den Leib gestossen“. Der Mörder schnitt sich anschließend die Kehle durch und wurde nachts an der Straße „in eine daselbst gemachte Grube verscharret“. Sigmund Faber (1599-1669), Pfarrer in Hersbruck, erlebte als direkt Betroffener die Gewalt des Dreißigjährigen Krieges. Als die Stadt 1634 nach der Plünderung niedergebrannt werden sollte, trat er mutig dem befehlenden Oberstleutnant entgegen und bat um Gnade. Obwohl der Offizier ihm zunächst entgegnete, er „habe befohlen, euch Hunde alle niderzuhauen“, ließ er sich dazu bewegen, Stadt und Einwohner gegen Zahlung eines Lösegeldes zu verschonen. Johann Georg Herzog von Mecklenburg-Schwerin (1629-1675) hingegen fiel einer tragischen medizinischen Verwechslung zum Opfer: Sein Diener hatte ihm über Nacht versehentlich regelmäßig das falsche von zwei verordneten Medikamente, offenbar ein starkes Herzmittel, gereicht, woraufhin der Herzog einen Kreislaufkollpas erlitt und trotz ärztlicher Bemühungen verstarb. Jacob Edel (1581-1652), dessen Ehe kinderlos blieb, nahm stattdessen mehrere Kinder mittelloser Familien bei sich auf, ermöglichte ihnen eine Schul- und Berufsausbildung und verköstigte arme Schüler.

Unter den 80 Leichenpredigten, deren beigefügten Personalia autobiographische Aufzeichnungen zugrunde liegen, ist u.a. die Predigt auf Maria Elisabeth Gräfin von Stolberg-Wernigerode, geb. von Promnitz (1717-1741) hochinteressant. Die in den Lebenslauf eingebetteten ausführlichen Auszüge aus den geistlichen Aufzeichnungen der Geehrten, die seit ihrem siebten Lebensjahr Tagebuch führte, reflektieren Kindheit und Selbstwahrnehmung eines nach pietistischen Idealen erzogenen Mädchens.

Nicht zuletzt erstaunlich ist ebenso die Menge von 83 aufgefundenen Leichenpredigten, die sich auf Nürnberg und dessen nähere Umgebung beziehen. Mehrere Epicedien dieser meist aufwändig gestalteten Trauerschriften auf hier ansässige Patriziergeschlechter stammen aus der Feder der „Pegnitzschäfer“, wie beispielsweise Christoph Arnold, Sigmund von Birken oder Johann Ludwig und Samuel Faber.

Mit einer derartigen Fülle an Informationen dokumentiert der vorliegende Katalog der Leichenpredigten und sonstigen Trauerschriften in der Historischen Bibliothek der Stadt Rudolstadt aufschlussreich Biographien im Europa der Frühen Neuzeit und liefert wertvolle Forschungsgrundlagen für unterschiedlichste Disziplinen.

Aus dem Inhalt:

Die Vorbemerkung informiert über Grundzüge der Geschichte der Historischen Bibliothek der Stadt Rudolstadt sowie Grundsätzliches bei der Erarbeitung und für die Benutzung der Bände. Ein Überblick über die Zusammensetzung des Leichenpredigten-Bestandes wird durch eine Karte, ein Diagramm und drei Tabellen veranschaulicht. In den beiden Katalogbänden sind die Einträge nach der alphabetischen Reihenfolge der Namen der Verstorbenen geordnet. Eine differenzierte Nutzung des Kataloges ermöglichen die beiden Registerbände, in denen gezielt nach Personennamen, Berufen, Orten und bildlichen Beigaben gesucht werden kann.

Interessenten:

Kultur-, Literatur-, Kirchen- und Medizinhistoriker, an Historischer Demographie, Historischer Familienforschung und Regionalgeschichte Interessierte, ferner Kunst- und Musikwissenschaftler, Institute, Bibliotheken, Archive und Museen.

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