Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Andreas Günther (1634-1709)

01.08.2009

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Daniel Geißler

Poltergeister und Gespenster – Spukerlebnisse eines Pfarrers

Titelblatt der Leichenpredigt auf Andreas Günther [1/2]

Aberglauben und Volksfrömmigkeit spielen als Bestandteil von Deutungsmustern des Lebens in der Frühen Neuzeit in der wissenschaftlichen Literatur eine wichtige Rolle.[1] Gemeinsame Religionszugehörigkeit und die Einbindung in entsprechende Sozialstrukturen wirkten sinnstiftend und waren damit eine entscheidende Grundlage der gesellschaftlichen Organisation. Dennoch finden z.B. Geistererscheinungen und Wunderberichte als Teilaspekte einerseits des Aberglaubens und andererseits des religiösen Verständnisses sowie der historische Umgang mit diesen Erlebnissen bisher eher wenig Beachtung. Da insbesondere der frühneuzeitliche Rationalismus und die Aufklärung dem Gespensterglauben antagonistisch gegenüberstanden, werden vor allem die damaligen öffentlichen Debatten zu dieser Thematik diskutiert;[2] die persönliche Reflektion derartiger Geschehnisse wurde hingegen kaum betrachtet. In jüngster Zeit gerät nun auch das spirituelle (Er-)Leben und dessen Außendarstellung stärker in den Fokus der Untersuchungen, denn es gestattet beispielhafte Einblicke, wie der einzelne Mensch seine von Umbrüchen geprägte Epoche wahrnahm und sich mit ändernden philosophischen und religiösen Auffassungen auseinandersetzte.[3] Hierzu können Leichenpredigten wichtige neue Impulse liefern: Eine Trauerschrift aus dem Bestand des Thüringischen Staatsarchivs Altenburg zeigt stellvertretend, wie stark das private Leben im Spannungsfeld konfessioneller und weltanschaulicher Konflikte im 17. und 18. Jahrhundert von Spukerfahrungen beeinflusst war und wie diese interpretiert wurden.

Andreas Günther stammte aus Meeltheyer, dem heutigen Podhorany in der Slowakei, und trat nach dem Studium der Theologie in Wittenberg und Jena eine Pfarrstelle in Kabsdorf (Hrabušice/Slowakei) unweit seines Geburtsortes an. Er musste 1671 aus seiner Heimat emigrieren und ließ sich in Sachsen nieder, wo er an der Stadtkirche St. Wenzel in Naumburg eine Anstellung als Diakon fand. Er hatte die Vertreibung evangelischer Geistlicher aus den rekatholisierten "ober-ungarischen" Gebieten bereits einige Jahre zuvor auf ungewöhnliche Weise vorausgesehen – wie es dazu kam, das schildert Andreas Günther in seiner ausführlichen "Fata Pastoralia". Dieser Lebenslauf wurde seiner Leichenpredigt beigegeben und steht uns auf diese Weise als hochinteressante autobiografische Quelle über die Schilderung paranormaler Phänome in der Frühen Neuzeit zur Verfügung.

Ein halbes Jahr nach dem Dienstantritt in Kabsdorf 1666 erlebte Andreas Günther in seinem Pfarrhaus einen Poltergeist. Kurz zuvor hatte er mit drei Franziskanern über theologische Themen disputiert und dabei erfolgreich die reformatorische Lehre verteidigt. Während eines anschließenden Besuches in seinem Haus gingen die Mönche, seiner Meinung nach sehr verärgert, herum, sonderlich in die Winckel und finstern Oerter, da sie ihr Zauberwerck verbrachten. Wenige Tage später begann der Spuk, den Andreas Günther eindeutig den Mönchen zuschreibt, mit Rumoren [...] und Werfen von kleinen Steinchen, Kalck, Leimen und Erden-Klössen. Zunächst nur nachts bemerkbar, setzte sich das unerklärliche Geschehen nach der Predigt am folgenden Sonntag (in der er seiner Gemeinde den Spuk mitgeteilt hatte) auch tagsüber fort. Schließlich wurde das Poltern und Toben so stark, daß etliche 100. Personen [...] solches sowohl in- als auch ausser der Pfarre ansahen und höreten. Beten und die Anwendung verschiedener Austreibungsrituale (u.a. eines Teuffels-Banners und Seegen-Sprechers) bewirkten das Gegenteil: Mit der Zeit wurde es zunehmend gefährlicher, weil auch größere Steine der Hofpflasterung und diverse Haushaltsgegenstände unkontrolliert durch die Luft flogen und teilweise die Bewohner trafen, dabei erstaunlicherweise aber stets nur leichte Verletzungen verursachten, so gar daß auch etliche mal einige Bluts-Tropffen von dem getroffenen Orte fielen. Bißweilen war es wieder anders und gelinder [...] als wenn man mit einem Schwamme getroffen würde. Der Spuk dauerte von Juli bis September 1666 an und verlor sich danach allmählich, wobei der Geist nie materialisierte bzw. erkennbare Form annahm. Trotz ständiger Aufforderungen seitens des Grundherrn und vieler Amtskollegen blieb Andreas Günther mit seiner Familie währenddessen im Pfarrhaus wohnen. Mehrfach betont er die Wahrheit seines Berichtes und verweist auf eine Vielzahl von Zeugen.

Interessant sind vor allem die Schlussfolgerungen, die Andreas Günther aus dem Erlebnis zieht. Er schreibt den Spuk den Mönchen zu, sieht ihn aber nicht als Strafe Gottes für seine Sünden, sondern vielmehr als Warnung vor kommendem Unheil. Andreas Günther hielt diese Plage vor einen Vorbothen der Ungarischen Verfolgung, da ich muthmassete aus den Zeichen der damahligen Zeit, daß eine grosse Veränderung in der Religion vorhanden sey, wie sie fünf Jahre später auch tatsächlich eintrat.

Bedeutsam ist die Leichenpredigt insbesondere, weil sie beweist, dass der Erfahrungshorizont der Betroffenen weit über momentan vordergründig analysierte Begriffe wie Angst, Furcht und Todesvision[4] hinausgeht. Andreas Günther interpretiert die Erscheinung, nicht zuletzt aufgrund seiner theologischen Ausbildung und Konfessionszugehörigkeit, als religiöses Vorzeichen und wendet es direkt auf die reale Lebenssituation an – bemerkenswerterweise nicht nur die eigene, sondern auch die der Glaubensgemeinschaft, der er angehört. Sein Bericht kann somit als Teil der Prodigienliteratur[5] angesehen werden, die in diesem Fall noch an der Schwelle zur rein rationalen Deutung von Wunderzeichen steht. Die Aufzeichnungen von Andreas Günther dokumentieren dadurch die wichtige Übergangsphase im protestantischen Prodigienverständnis und sind eine wertvolle Quelle für weitere Forschungen zur frühneuzeitlichen Weltanschauung.

 

DANIEL GEIßLER M.A. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle für Personalschriften.

 

Bestand: Thüringisches Staatsarchiv Altenburg
Signatur: GAGO 1869
Enthalten in: Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften im Thüringischen Staatsarchiv Altenburg. Nachtrag (Marburger Personalschriften-Forschungen 48), Stuttgart 2009

 

Anmerkungen:

[1] Als Überblicksdarstellung Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3: Religion, Magie, Aufklärung 16.-18. Jahrhundert, 2. Aufl., München 1999.

[2] Siehe z.B. Moritz Baßler/Bettina Gruber/Martina Wagner-Egelhaaf (Hg.), Gespenster. Erscheinungen – Medien – Theorien, Würzburg 2008, insbesondere den Beitrag von Ulrich Stadler, Gespenst und Gespenster-Diskurs im 18. Jahrhundert, S. 127-139 in diesem Band; Martin Pott, Aufklärung und Aberglaube. Die deutsche Frühaufklärung im Spiegel ihrer Aberglaubenskritik, Tübingen 1992.

[3] Helen Parish/William G. Naphy (Hg.), Religion and Superstition in Reformation Europe, Manchester u.a. 2002.

[4] U.a. Jean Delumeau, Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, Bd. 1, Hamburg 1985.

[5] U.a. Michaela Schwegler, "Erschröckliches Wunderzeichen" oder "natürliches Phänomenon"? Frühneuzeitliche Wunderzeichenberichte aus der Sicht der Wissenschaft (Bayerische Schriften zur Volkskunde 7), München 2002; Jürgen Beyer, Art. "Prodigien", in: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung, Bd. 10, Berlin/New York 2002, Sp. 1378-1388; Wolfgang Brückner (Hg.), Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, Berlin 1974.

 

Zitierweise: Daniel Geißler, Andreas Günther (1634-1709). Poltergeister und Gespenster – Spukerlebnisse eines Pfarrers, in: Leben in Leichenpredigten 08/2009, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/andreas-guenther-1634-1709.html>

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