Forschungsstelle für Personalschriften Marburg

Balthasar Mentzer d.Ä. (1565-1627)

01.12.2010

Kategorie: Leben in Leichenpredigten

Von: Avraham Siluk

Hebräische Trauergedichte in Leichenpredigten

Trauergedicht auf Balthasar Mentzer d.Ä. [1/3]

Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts erlangten Gelehrte einen besonderen Ruhm, wenn sie alle drei heiligen Sprachen – Griechisch, Latein und Hebräisch – beherrschten. Diese Gelehrten wurden als viri trilinguis und darüber hinaus auch als wahre Humanisten bezeichnet und genossen unter den ersten Generationen von Reformatoren, aber auch unter vielen Humanisten, die sich der Reformationsbewegung nicht anschlossen, ein hohes Ansehen. Das Erlernen der hebräischen Sprache wurde mit der Zeit sogar zu einem integralen Teil der Ausbildung von Theologen und erlangte damit einen hohen Stellenwert unter den zeitgenössischen Bildungseliten.[1]

Dass in der zweiten Hälfte des 16. und vermehrt im 17. Jahrhundert hebräische Trauergedichte (= sing. קינה / pl. קינות) in Leichenpredigten veröffentlicht wurden, kann vor diesem Hintergrund kaum überraschen. Zwar waren die hebräischen Epicedien nicht so verbreitet wie die lateinischen und griechischen Trauergedichte – immerhin finden sich in den Katalogen der Forschungsstelle für Personalschriften Marburg ca. 130 hebräische Gedichte in 92 unterschiedlichen Leichenpredigten. Die Mehrzahl der Verstorbenen, denen ein oder mehrere Trauergedichte in hebräischer Sprache gewidmet wurden, gehörte dem Adel an.[2] Aber auch bei Leichenpredigten auf Gelehrte war es nicht ungewöhnlich, dass im Epicedienteil Schriftstücke auf Hebräisch auftauchten.[3]

Die Verfasser von hebräischen Trauergedichten waren in aller Regel hochgebildete Personen, häufig Kollegen des Verstorbenen oder Pastoren, die des Hebräischen mächtig waren. Da es sich meist um Menschen mit humanistischer Ausbildung handelte, wundert es nicht, dass die Gedichte viele literarische Formen, Wortspielereien und verschiedene rhetorische Stilmittel aufweisen. Kennzeichnend ist darüber hinaus – und das wird durch den religiösen Charakter der Leichenpredigten verständlich – die Integration vieler Zitate aus der Bibel (häufig aus dem Alten Testament) in die Texte.

Trotz des hohen stilistischen Anspruchs, oder vielleicht gerade deswegen, enthalten die hebräischen Gedichte häufig solche Wortbildungen und Satzkonstruktionen, die entweder gar keinen oder nur bedingt Sinn ergeben. Sehr oft leidet die Grammatik unter Satzmissbildungen, die keineswegs allein durch die lyrische Gestaltung des Textes zu erklären sind. Auch Schreibfehler sind nicht selten anzutreffen, sie wurden jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Drucker verursacht, der – so ist anzunehmen – weder die hebräische Sprache noch deren Schrift beherrschte. Allein das Einbringen von Stellen aus der Bibel konnte die Texte bereichern und zu mehr inhaltlichem Tiefsinn führen.

Es wäre unmöglich, anhand einzelner hebräischer Gedichte zu überprüfen, ob und wie weit die Verfasser von hebräischen Trauergedichten die Sprache tatsächlich beherrschten. Wahrscheinlich ist allerdings, dass sie viel mehr darauf bedacht waren, ihre Gelehrsamkeit sowie ihre rhetorischen und literarischen Fähigkeiten zur Schau zu stellen, als inhaltlich anspruchvolle Texte anzufertigen. Die Tatsache aber, dass manche der Epicedien bei der Begräbniszeremonie vorgelesen wurden und dass das Publikum zum größten Teil kein Hebräisch konnte, führt zu der Annahme, dass der Klang eines Gedichtes bei solchen Anlässen tatsächlich wichtiger war als dessen Inhalt.[4]

Im Folgenden soll eine Übersetzung eines Trauergedichts aus der Leichenpredigt auf Balthasar Mentzer den Älteren (1565–1627) vorgestellt werden.[5] Mentzer war ein lutherischer Theologe, der in Gießen und Marburg lehrte. Er war Mitbegründer der Universität in Gießen und beteiligte sich im Auftrag von Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt an der Abfassung der neuen Hochschulstatuten. Seine Schriften, allen voran die sog. Anti-Sadeel, brachten ihm Ruhm und Wertschätzung unter seinen Gelehrtenkollegen.[6]

Der Verfasser des hebräischen Trauergedichts war Daniel Schwenter (1585–1636), Professor für orientalische Sprachen (Hebräisch, Arabisch, Chaldäisch und Syrisch) an der Universität in Altdorf und Mathematiker. Unter seinen orientalischen Studien findet man mehrere Abhandlungen über die Aussprache bestimmter hebräischer Buchstaben und ein kleines hebräisch-lateinisches Wörterbuch.[7] Seine Hebräischkenntnisse sind also nicht anzuzweifeln, wie auch die kurze Vorrede zum Gedicht belegt.

Das Gedicht enthält einige Motive aus der Bibel und aus dem jüdischen Trauerbrauchtum und liefert dem Leser / der Leserin einige Informationen über den Verstorbenen. Die Struktur dieses Gedichts entspricht dem Schema, das Fidel Rädle bereits bei lateinischen Epicedien herausarbeitete, jedoch nicht in der von ihm festgestellten Reihenfolge, nämlich: erstens die Vorstellung und das Rühmen des Toten, zweitens die Klage bzw. die Trauer um den Verstorbenen und drittens der Trost, den der Verfasser seinen Zuhörern und den hinterbliebenen Angehörigen ausspricht.[8] Bis auf einige Bibelzitate und die bereits angesprochenen Motive der jüdischen Trauerrituale weist das Gedicht eine vergleichsweise gut nachvollziehbare Struktur und Sprachgestaltung auf. Literarisch bietet es jedoch keine außergewöhnlichen Besonderheiten.

Klagegedicht[9]
Auf den Tod des gerechten Mannes, Balthasar Mentzer, der ein von den Gelehrten
verehrter und geschätzter Lehrer war. Er lehrte ehrfürchtig Theologie in der großen und
ruhmreichen Stadt Marburg.
Gebündelt sei seine Seele am Band des Lebens.
In seligem Andenken.

Würde mir jemand die Flügel einer Taube verleihen,
dann flöge ich in die Wüste, um dort zu leben;
ich würde brüllen und mich mit einem Sacktuch bedecken,[10]
wie eine Rohrdommel in der Wüste [Psalm 102,7] würde ich leben;
Mein Herz steht still, meine Kraft ist erschlagen,
Staub werd' ich über meinen Kopf werfen,[11]
Mein Herz ist erschrocken, mein Gemüt trauert,
die Melodie des Schofars wird die Wehklage noch verstärken,[12]
und meine Augen sind eine Quelle der Tränen, [Jeremia 9,1] [13]
Ich weine sehr um den Tod des lieben Mentzer,
der in seine letzte Ruhestätte[14] kam
in seinem Gepäck den Glauben an GOTT;
Er brachte die Weisheit der Thora den Menschen,
und sie brachten ihm Hochachtung entgegen;
aus seinem Munde kamen belehrende Worte,
die er gegen das Heuchelvolk [Jesaja 10,6] wandte;
Tapfer kämpfte er dafür, die Welt für Gott zu ändern,[15]
und zugleich die Frommen von den Bösen zu sondern; [Jeremia 15,19]
Bald jagte er die Füchse hinaus,[16]
und widmete sich der Suche nach Gottes Wegen;
Gesetzestreu lebte er nach den Geboten,
Glaube, Gnade und Gericht waren ihm vonnöten;
Auf die Hoffnung wusste er immer zu vertrauen,
denn Gott war immer in seinem Herzen vorhanden;
Beklaget den Tod dieses Mannes mit Schmerz,
Oh Völker, lobet [?];[17]
Errichtet ein Denkmal auf seinen Namen
Hört seine Worte der Ehrlichkeit sprechen;
Glückseligkeit für seine Seele im Himmel,
während sein Körper im Grabe liegt;
wir weinen Tag und Nacht,
wie uns dieser Kummer besiegt.

 

AVRAHAM SILUK M.A. ist Stipendiat des Leo-Baeck-Fellowship-Programms und promoviert über die politischen Organisationsformen der Juden im Heiligen Römischen Reich in der Reformationszeit. Der Autor war von 2010 bis 2011 Wissenschaftliche Hilfskraft der Forschungsstelle für Personalschriften.

 

Bestand: Universitätsbibliothek Gießen
Signatur: W50299/500
Enthalten in: Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften in der Universitätsbibliothek Gießen (Marburger Personalschriften-Forschungen 7), Bd. 1., Marburg/Lahn 1985

 

Anmerkungen:

[1] Vgl. z.B. Otto Kluge, Die hebräische Sprachwissenschaft in Deutschland im Zeitalter des Humanismus, in: Zeitschrift für Geschichte der Juden in Deutschland 3 (1931), S. 81-97, 180-193; 4 (1932), S. 100-129, hier besonders S. 84ff. und 180ff.

[2] Z.B. sind in der Leichenpredigt auf Landgraf Moritz von Hessen-Kassel gleich sechs unterschiedliche hebräische Trauergedichte enthalten, siehe Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften in der Hessischen Landesbibliothek Wiesbaden (Marburger Personalschriften-Forschungen 23), Stuttgart 1999; und in der Leichenpredigt auf Georg Ludwig von Nassau-Dillenburg findet man vier Epicedien in hebräischer Sprache, siehe Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften im Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (Marburger Personalschriften-Forschungen 15), Sigmaringen 1994.

[3] Auch den verstorbenen Ehefrauen von Gelehrten wurden hebräische Gedichte gewidmet. So findet man in der Leichenpredigt auf Veronica Höpffner, der Ehefrau des Theologen Heinrich Höpffner, fünf Epicedien in hebräischer Sprache, siehe Katalog der Leichenpredigten und sonstiger Trauerschriften in der Bibliothek der Evangelischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul zu Görlitz (Marburger Personalschriften-Forschungen 31), Stuttgart 2001.

[4] Eine grundlegende Untersuchung zu dieser Thematik bleibt dennoch ein Forschungsdesiderat.

[5] Universitätsbibliothek Gießen, Sign.: W50299/500.

[6] Theodor Mahlmann, "Mentzer, Balthasar der Ältere", in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 98-100 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd116885955.html (Zugriff: 03.11.2010).

[7] Moritz Cantor, "Schwenter, Daniel", in: Allgemeine Deutsche Biographie 33 (1891), S. 413-414 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd117417904.html (Zugriff: 03.11.2010).

[8] Fidel Rädle, Lateinische Trauergedichte (Epicedia) im Überlieferungszusammenhang von Leichenpredigten, in: Rudolf Lenz (Hg.), Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 4, Stuttgart 2004, S. 237-267.

[9] Es wurde hier nicht versucht, eine wortgetreue Übersetzung zu liefern. Zitate aus der Bibel sind kenntlich gemacht.

[10] Jüdischer Brauch der Trauer.

[11] Wie Anm. 10.

[12] Der Klang des Schofars (ein Blasinstrument aus dem Horn eines Steinbocks) wird im Judentum oft mit Trauer in Verbindung gebracht.

[13] Druckfehler: statt דמעה steht דמצה.

[14] Das Wort מרגעה existiert zwar nicht, wird aber dem hebräischkundigen Leser aus dem Kontext dennoch verständlich.

[15] Wahrscheinlich ist dies eine Anspielung auf sein reformatorisches Wirken.

[16] Wie Anm. 15.

[17] Das Wort Bascher, wie ich es lese, existiert im Hebräischen nicht. Es kann sein, dass es sich hier um ein Wort aus dem Arabischen handelt. Wenn dem so ist, dann sollte die Übersetzung Gesicht oder Mensch heißen. Da das Wort Bascher große orthographische Ähnlichkeit mit dem hebräischen Wort Bassar hat, das Fleisch bedeutet (und auch im Sinne des leiblichen Menschen verstanden werden kann), ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Übersetzung Oh Völker, lobet diesen Menschen lauten müsste. (Auch ein Druckfehler kommt hier selbstverständlich in Frage).

 

Zitierweise: Avraham Siluk, Balthasar Mentzer d.Ä. (1565-1627). Hebräische Trauergedichte in Leichenpredigten, in: Leben in Leichenpredigten 12/2010, hg. von der Forschungsstelle für Personalschriften, Marburg, Online-Ausgabe: <www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/balthasar-mentzer-dae-1565-1627.html>

Artikel nach...

...Monaten